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Früher war der Gang ins Casino oder die Wettannahmestelle ein bewusster Schritt, der noch mit einer gewissen Hemmschwelle verbunden war. Heute hat sich das Bild radikal gewandelt. Das Casino ist in digitaler Form in unsere Hosentaschen und Wohnzimmer eingezogen und ist nur einen Fingertipp entfernt. Die unbegrenzte Verfügbarkeit sorgt dabei für eine Erschließung neuer Zielgruppen, die in analogeren Zeiten niemals ein Casino betreten, geschweige denn dort Geldeinsätze gemacht hätten. Allein in den USA haben Amerikaner:innen seit der Aufhebung des bundesweiten Verbots von Sportwetten im Jahr 2018 über 245 Milliarden Dollar verloren. Weltweit kämpfen Millionen Menschen mit den Folgen ihrer Spielsucht, und ein alarmierender Anteil davon ist unter 25 Jahre alt.

Werbung, Werbung, Werbung

 

Wer in den USA lebt, kann sich der Werbung für Online-Glücksspiel kaum mehr entziehen. Ob auf Trikots, Banden, als Einblendung während des Spiels oder in den Werbepausen: Anbieter wie FanDuel, DraftKings und BetMGM sind omnipräsent. Prominente Gesichter wie Kevin Hart, Jamie Foxx oder LeBron James schließen Werbeverträge mit Glücksspiel-Anbietern ab und suggerieren, das sei alles nur ein harmloser Spaß, während die Grenzen zwischen Sporterlebnis und Wetteinsatz zunehmend verschwimmen. In Deutschland gibt es zwar strengere Regularien; beispielsweise darf Glücksspiel-Werbung nicht auf Minderjährige ausgerichtet sein. Doch auch deutsche YouTuber und Streamer wie Knossi oder Montana Black ließen sich die Chance nicht entgehen, Geld zu verdienen und bedienten dabei vor allem ein Zielpublikum unter 25 Jahren. Schon vor einigen Jahren haben beide Casino-Streamer ihre Glücksspiel-Werbestreams eingestellt, aber das wohl weniger aufgrund eines neu erwachten Verantwortungsgefühls gegenüber ihres leicht beeinflussbaren Publikums, sondern aufgrund rechtlicher Probleme und Kooperationen mit Partnern, die diesen Schritt erforderlich machten.

Mit Content Marketing-Strategien in sozialen Medien werden Werbebotschaften geschickt in unterhaltsame Inhalte verpackt, oft mit Verweisen auf Popkultur, die bestimmte junge Zielgruppen ansprechen. Studien zeigen, dass besonders Kinder und Jugendliche diese Form der Werbung oft nicht als solche erkennen. Sie folgen den Anbietern auf Social Media und bauen eine positive Wahrnehmung auf, was die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass sie mit Erreichen der Volljährigkeit zu Kund:innen werden.

Obwohl Werberichtlinien vorschreiben, dass Marketingkommunikation klar als solche identifizierbar sein muss, werden diese Regeln im digitalen Raum oft umgangen. Cartoon-Grafiken und bunte Animationen, die stark an Kinder appellieren, sind in der Glücksspielwerbung keine Seltenheit. Die Parallelen zur früheren Vermarktung von Tabak und Alkohol sind unübersehbar, doch während dort strenge Regulierungen zu einem Rückgang des Konsums führten, explodiert der Online-Glücksspielmarkt geradezu.

Willkommen im Casino, wir haben eure Daten und wollen euer Geld

 

Online-Glücksspielplattformen sind Meister darin, uns bei der Stange zu halten. Ein zentrales Element ist der sogenannte „Scarcity Loop“ (Knappheitsschleife): Die ständige Gelegenheit auf einen Gewinn, die Unvorhersehbarkeit der Belohnung (mal hoch, mal niedrig, oft gar nichts) und die schnelle Wiederholbarkeit des Spiels erzeugen einen Dopaminrausch, der süchtig machen kann. Nutzer:innen verfallen in eine Art algorithmische Selbstgefälligkeit, bei der sie die Kontrolle über ihr Verhalten an die Plattform abgeben.

Durch ausgeklügelte Datenanalyse wird eben dieses Verhalten genauestens verfolgt. Dies ermöglicht es den Anbietern, personalisierte Angebote, Push-Benachrichtigungen und Lockangebote wie „Wette 5€ und erhalte 150€ Bonus“ genau dann auszuspielen, wenn die Verlockung am größten ist oder ein:e Nutzer:in droht, abzuspringen. Besonders beliebt sind Kombiwetten, sogenannte Parlays, die mit extrem hohen Auszahlungen bei gleichzeitig verschwindend geringer Gewinnwahrscheinlichkeit locken. Während Einzahlungen mit einem Klick erledigt sind, wird das Auszahlen von Gewinnen oder das Schließen eines Kontos oft unnötig erschwert – der Klassiker.

Influencer als Lockvögel

 

Eine neue Front im Kampf um Kund:innen sind Influencer und Streamer. Auf Plattformen wie Twitch und Kick übertragen sie stundenlang, wie sie an virtuellen Spielautomaten zocken oder Sportwetten platzieren. Sie inszenieren scheinbar riesige Gewinne und suggerieren ein Leben im Luxus, was besonders junge männliche Zuschauer anzieht. Stars wie der Rapper Drake gehen Partnerschaften mit Krypto-Casinos wie Stake ein und bewerben diese vor einem Millionenpublikum.
Die Problematik dabei: Oftmals spielen diese Influencer nicht mit ihrem eigenen Geld, sondern erhalten Einsätze von den Plattformen oder profitieren von Sonderkonditionen. Ihre Verluste sind nicht real, ihre Gewinne reine Inszenierung. Dies verzerrt die Realität des Glücksspiels und missbraucht das Vertrauen, das sie bei ihrer Community genießen.

Die Folgen sind selten das große Geld

 

Die Konsequenzen dieser Entwicklung sind dramatisch. Spielsucht ist eine anerkannte Krankheit, die als Hirnstörung klassifiziert wird und oft mit einem Gefühl des Kontrollverlusts einhergeht. Betroffene jagen dem nächsten Kick hinterher, verlieren das Gefühl für Zeit und Geld und isolieren sich sozial. Die Schuldenberge wachsen, Existenzen und Familien zerbrechen. Die Suizidrate unter Spielsüchtigen ist signifikant höher als in der Allgemeinbevölkerung. Tragischerweise sind es oft genau diese problematischen Spieler:innen, die den Hauptanteil der Profite für die Industrie generieren. Die frühe Konfrontation mit Glücksspielinhalten, selbst in spielerischer Form wie durch Lootboxen in Videospielen oder kostenlose Social-Casino-Apps, normalisiert das Zocken für Kinder und Jugendliche und senkt die Hemmschwelle für den Einstieg in Echtgeldspiele.

Regulierungslücken und die Macht der Konzerne

 

Während die USA mit ihrer rasanten Expansion seit der Legalisierung von Sportwetten oft als Wilder Westen des Online-Glücksspiels bezeichnet werden, ist die Situation auch in Europa komplex. Im Vereinigten Königreich gibt es zwar strengere Regeln, doch auch dort kämpft man mit den Auswüchsen der Industrie. In Deutschland trat 2021 ein neuer Glücksspielstaatsvertrag in Kraft, der das Online-Glücksspiel bundesweit regulieren soll. Eine gemeinsame Glücksspielbehörde der Länder (GGL) wurde eingerichtet. Doch die Herausforderungen sind immens: mangelnde Ressourcen und Kompetenzen bei den Aufsichtsbehörden, die Schwierigkeit, international agierende Anbieter zur Rechenschaft zu ziehen (oft mit Lizenzen aus Malta oder Curaçao), und die schiere Masse an illegalen Angeboten.

Euer Verlust ist Drakes’ Gewinn

 

Das sogenannte Affiliate-System, bei dem Vermittler horrende Provisionen für die Verluste der von ihnen geworbenen Spieler kassieren, befeuert das System zusätzlich. Richtig gelesen: Je mehr wir beim Spiel verlieren, desto mehr Geld verdient die Person, die uns geworben hat.
Darüber hinaus dient das schwer durchschaubare Online-Glücksspiel auch der organisierten Kriminalität als lukratives Feld für Geldwäsche. Die Glücksspielindustrie baut zudem gezielt politischen Einfluss auf, oft mit dem Argument, die Steuereinnahmen kämen öffentlichen Zwecken wie der Bildung zugute.

Was jetzt?

 

Die aktuelle Entwicklung im Bereich des Online-Glücksspiels ist alarmierend. Es bedarf dringend strengerer Regeln, insbesondere zum Schutz von Minderjährigen und zur Eindämmung der aggressiven Werbung in sozialen Medien. Die Forderung muss lauten: Glücksspiel erlauben, ja – aber nicht aktiv bewerben und normalisieren.
Plattformen und Influencer müssen stärker in die Verantwortung genommen werden. Transparenz über Sponsoring-Deals und die reellen Gewinnchancen sind das Mindeste. Die Aufklärung über die Suchtgefahren muss intensiviert und Präventionsangebote leicht zugänglich gemacht werden. Denn das Ziel der Industrie ist klar: die Legalisierung von Online-Casinospielen in allen Bereichen.

Warum sollte man da auch was dagegen haben.

Viktoria Steiber

Writer & Inhouse Creator

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