KI und der YouTube Automation Scam
Seit KI in der täglichen Toolbox der Digital Natives zu finden ist, häuft sich mehr und mehr Content auf YouTube und anderswo zum Thema ‘Faceless YouTube Channels’ – zu deutsch, YouTube Channels, die man betreiben kann, ohne sein Gesicht zu zeigen und damit mehr oder weniger anonym bleibt. Doch nicht nur der Aspekt der Anonymität wirkt auf neue Creator und solche, die es werden wollen, so anziehend. Vielmehr ist es das Versprechen eines passiven Einkommens im vier- und fünfstelligen Bereich, welches sich angeblich ganz leicht und nebenbei verdienen lässt. Man muss den Großteil der Arbeit am Channel schlicht und einfach automatisieren, sprich: von Künstlicher Intelligenz erledigen lassen und sich dann nur noch entspannt zurücklehnen.
Klingt zu gut, um wahr zu sein?
(Spoiler Alert: ist es auch.)
Das Konzept ist einfach:
- Man suche sich eine thematische Nische aus, die laut irgendwelcher Rankings gerade hoch gefragt ist (keine Ahnung vom Thema? Egal! Es geht hier schließlich um Klicks und nicht um persönliche kreative Erfüllung.)
- Das erste KI-Tool schreibt uns ein Skript auf der Grundlage eines fix runter getippten Prompts. Und nein, da wird auch nichts mehr dran rum korrigiert, wir wollen schließlich Zeit sparen.
- Ein Bildgenerator spuckt uns ein Thumbnail und ggf. weitere Bilder fürs Video aus.
- Wir lassen das KI-generierte Skript von einer KI-generierten Stimme einlesen.
- Und nun alles in einem ebenfalls mit KI unterstützten Editing-Tool zusammenfügen. (Oder man lässt sich seine Videos einfach vollständig von einer Website mit Bezahlfunktion generieren: für einen Minecraft-Parkour mit ein paar billig generierten Worthülsen reichts.)
Fertig ist das Video, das dich reich machen wird!
Währenddessen machen zahllose Creator Werbung für ihren ‘Side Hustle’, mit dem sie nach eigenen Aussagen zigtausende Dollar im Monat verdienen. Wie gut, dass die frischgebackenen YouTube-Millionäre fast immer einen Onlinekurs verkaufen, der uns erklärt, wie auch wir reich werden können.
Eins vorweg: es ist möglich, mit ‘faceless content’ auf YouTube Geld zu verdienen.
Nicht der Aspekt, dass man das eigene Gesicht nicht in eine Kamera hält, macht die Blase zu einem Scam. YouTuber DarLucey hat sich an ein Selbstexperiment gewagt und hatte moderaten Erfolg mit seinem ersten gesichtslosen Channel; in den kommenden Jahren will er weitere Kanäle ausbauen. Fernab unrealistischer Versprechen, innerhalb kürzester Zeit und ohne viel Arbeit reich zu werden, macht er jedoch wie viele andere klar: um auf YouTube langfristig erfolgreich zu sein, muss man zu Beginn entweder sehr viel Zeit oder Geld investieren – wahrscheinlicher ist beides. Wer hochwertige Inhalte liefern will, die sich Menschen auch wirklich anschauen wollen, muss sich noch immer an menschliche Dienstleister*innen wenden, sofern man die Arbeit eben auslagern und nicht selbst verrichten will. Es gilt, sich eine Community aufzubauen, die gemeinsame Interessen hat, statt nur auf Subscriber-Fang zu gehen, um die Zahlen nach oben zu treiben. Jeden anzusprechen, ist schließlich das Gleiche wie keinen anzusprechen.
Die Lüge steckt im Versprechen, seinen Content vollständig durchautomatisieren zu können, um Geld mit gestohlenen Ideen oder KI-generierten und oft falschen Informationen zu verdienen. Was viele der Creator, die teure Uhren und Luxusautos als Beweis ihres durchschlagenden Erfolgs abfilmen, nämlich nicht erzählen, ist, dass der Großteil KI-generierten Contents auf YouTube überhaupt nicht die Richtlinien für die Monetarisierung erfüllt:
Die Inhalte müssen Originalwerke sein. Wenn du Inhalte von einer anderen Person übernimmst, musst du sie erheblich verändern, um sie zu deinem eigenen Werk zu machen. (…) Deine Inhalte sollten nicht nur dazu dienen, Aufrufe zu generieren, sondern die Zuschauer unterhalten oder informieren.
Eine Slideshow KI-generierter Bilder oder Stockfotos mit lizenzfreier Musik zu unterlegen und die 10 bekanntesten stoizistischen Zitate Marc Aurels über den Screen laufen zu lassen, zählt also leider nicht als Originalwerk – sorry.
Natürlich ist es auch möglich, nur mit Affiliate-Links Geld zu verdienen. Der Erfolg von inhaltsleerem Low-Effort-Content, den niemand fact-checked, hält sich aber meist in Grenzen. Und so bleiben auch die Kanäle, mit denen die YouTube-Entrepreneure angeblich ihren Reichtum erwirtschaften, meistens unbenannt und unbekannt.
Die Content Automation-Bubble ist jedenfalls Anlass, mal wieder eine Lanze zu brechen für alle Creator da draußen, die mit Herzblut ihren eigenen Content schreiben, filmen und produzieren. Alle, die sich geduldig ihre Community aufbauen, statt nur billiges Clickbaiting zu betreiben. Kopieren und abkupfern ist so einfach geworden wie nie – umso wichtiger sind Creator mit Prinzipien. Danke, dass es euch gibt.
KI und das Internet
Der Wunsch nach einem passiven Einkommen, für das man fast nichts tun muss, ist älter als das Internet und bringt regelmäßig neue Scams hervor. Natürlich wird KI vor den gleichen Karren gespannt, stellt die Technologie doch den bisher höchsten Grad von Automationstechnik dar, der uns je zur Verfügung stand.
Allerdings versetzt der immer größer werdende Anteil KI-generierter Inhalte im Netz viele in Alarmbereitschaft, und dabei geht es nicht nur um die sich zunehmend verschlechternde Durchschnittsqualität von Inhalten im Netz. Eines der drängendsten Probleme stellt der sogenannte Model Collapse dar: KI-Modelle müssen auf Daten zurückgreifen, um neue Daten generieren zu können. Die Qualität dieser Daten ist daher entscheidend. Doch wenn immer mehr Daten bereits selbst das Produkt eines KI-Modells sind, die wiederum in das Modell eingespeist werden, kommt nach so und so vielen Iterationen irgendwann nur noch Nonsens raus; keine Spur mehr von Intelligenz. Was viele nämlich nicht wissen: Das, was wir Künstliche Intelligenz nennen, hat mit tatsächlicher Intelligenz im Sinne eines Zugangs zur Sinndimension unserer Sprache nichts zu tun.
Eine KI denkt nicht – sie rechnet.
Wer schon einmal mit einem KI-gesteuerten Chatbot gearbeitet hat, weiß zum Beispiel, dass dieser kein Verständnis von Wahrheit und Lüge hat und man deshalb jede Aussage ganz genau prüfen sollte. Es ist möglich, sich mit einer KI zu ‘unterhalten’ und ständig mit sich widersprechenden Aussagen konfrontiert zu werden, ohne die Chance, dem Bot zu vermitteln, dass das, was er einem erzählt, überhaupt keinen Sinn macht.
Der Aspekt des Verstehens von Sprache fällt bei einer KI schlicht und einfach weg, da sie keinen Zugang zur Welt und damit auch kein Verständnis qualitativer Differenz hat wie unsere analogen Gehirne. Und wer jetzt denkt ‘aber es gibt sie doch, die digitale Welt, zu der Maschinen Zugang haben!’, sei darauf hingewiesen: Eine digitale Welt ist nur für Menschen an Endgeräten überhaupt eine Welt. Da auf der tiefliegendsten Ebene eines Computers nur zwischen 0 und 1 unterschieden werden kann, ist es egal, ob dieser nun Text-, Video-, Bild- oder Sounddateien verarbeitet: auf dem basalsten Level ist alles 0 oder 1. Das ist das Wesen des Digitalen und aus diesem Grund ist eine Kamera kein Auge und ein Mikrophon kein Ohr. Weil diese Limitierungen in der Natur der Sache liegen, forscht die Wissenschaft übrigens auch am sog. Analog Computing.
Dies soll freilich nicht als KI-Bashing verstanden werden – richtig eingesetzt, ist sie ein fantastisches Werkzeug für eine Vielzahl von Zwecken und stellt das bisher leistungsfähigste Informationsverarbeitungstool dar, das technisch zur Verfügung steht. Niemals sollte man allerdings den Fehler machen, KI in irgendeiner Weise eine eigene Intelligenz im menschlichen Sinne zu unterstellen. Diese braucht KI gar nicht, um das zu tun, was sie soll. In einem kommenden Artikel wollen wir uns die Implikationen noch einmal im Detail anschauen, die die Verbreitung von KI in beinah allen Bereichen des Internets mit sich bringt. Für jetzt bleibt festzuhalten, dass KI immer nur so gut ist wie ihre Daten. Und um gute Datensätze zu erstellen, braucht es intelligente Menschen, die verstehen, womit sie es zu tun haben.
Viktoria Steiber
Writer & Inhouse Creator