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In einem Interview des Paley Center for Media Ende März hat Netflix-Co-CEO Ted Sarandos YouTube mit einer bemerkenswert klaren Abgrenzung kritisiert: Während YouTube zum „Killing Time“-Business gehöre, verstehe sich Netflix als Teil des „Spending Time“-Business. Übersetzt: Bei Netflix geht es darum, qualitativ hochwertige Unterhaltung zu schaffen, bei der Zuschauerinnen und Zuschauer bewusst Zeit investieren. Bei YouTube dagegen lautet der Vorwurf, es gehe um Inhalte ohne Wert, um bloße Ablenkung ohne Substanz.

Anlass des bissigen Kommentars war wohl eine Studie von Nielsen Media Research zur Watchtime unterschiedlicher Arten von Unterhaltungsformaten in den USA; neben Rundfunk und Kabelfernsehen bildet die Kategorie Streaming mit insgesamt 43,3% den Löwenanteil der gesamten Watchtime ab. Klarer Sieger ist YouTube mit 11,1% (Stand Dezember 2024). Erst danach folgt Netflix mit noch immer sehr stabilen 8,5%. Dass Sarandos diese Statistik nicht gefallen hat, merkt man.

So einfach ist die Sache natürlich nicht. Auch auf Netflix gibt es Formate, bei denen der inhaltliche Tiefgang nicht unbedingt im Vordergrund steht. Und auch auf YouTube findet man Videos, die informieren, inspirieren, Gemeinschaft stiften oder Fähigkeiten vermitteln. Das Zuschauerverhalten auf YouTube ist häufig alles andere als beiläufig. Es ist zielgerichtet, suchbasiert, kuratiert und oft sogar deutlich aktiver als das Scrollen durch Netflix-Startseiten auf der Suche nach dem nächsten Binge-Kandidaten.

Sarandos hebt die Vorteile des Netflix-Modells hervor, indem er YouTube als Negativvergleich anführt, das haben wir soweit verstanden. Eines seiner Argumente ist die Tatsache, dass Creator auf YouTube ihre Karriere ohne von der Plattform zur Verfügung gestelltes Budget starten, während Netflix das für die Macher*innen seiner Produktionen übernimmt: Inhalte werden finanziert, bevor sie produziert werden. Wer eine Serie dreht, weiß, dass sie bezahlt ist. Auf YouTube hingegen tragen Creator das finanzielle Risiko selbst. Ein schlechtes Modell, findet er, und verweist auf MrBeast, der im vergangenen Jahr laut eigener Aussage 80 Millionen Dollar Verlust gemacht hat.

Dabei ist Jimmy Donaldson für die immensen Beträge bekannt, die er in die Erstellung seiner Videos pumpt und ist als Creator des größten YouTube-Channels der Welt längst kein gutes Beispiel mehr für den Durchschnitts-YouTuber. Als Inhaber einer Produktionsfirma und diverser Marken ist er einer der einflussreichsten digitalen Creator weltweit und hat mit Amazon Prime bereits seinen kooperierenden Streaminganbieter gefunden. Die Beast Games, wegen deren entsetzlicher Arbeitsbedingungen Donaldson und seine Produktionsfirma gerade zusammen mit Amazon MGM Studios verklagt werden, sind übrigens weder ein großer Flop noch ein großer Erfolg, was in Betracht des immensen Budgets von 100 Millionen Dollar, über die Donaldson frei verfügen konnte, ein ziemliches Armutszeugnis ist. Ob das jetzt ein Argument dagegen ist, YouTuber und klassische Streaming-Anbieter zusammenzubringen, ist zu bezweifeln, hat sich MrBeast doch zuvor bereits durch toxische Arbeitsverhältnisse und unseriöse Geschäfte ins Gespräch gebracht.

Klar ist: wenn eine übergeordnete Produktion Aufsichts- und Vetorecht über MrBeasts YouTube-Videos hätte, würden viele davon überhaupt gar nicht erst entstehen. Die allermeisten Creator auf YouTube beginnen währenddessen mit minimalen Mitteln. Oft reichen eine Kamera, ein Schnittprogramm und eine Idee.
In der Praxis hängt die Sichtbarkeit zugegebenermaßen stark davon ab, wie gut Inhalte vom Algorithmus aufgegriffen werden. Der Zugang zur Plattform ist offen, doch was tatsächlich Reichweite bekommt, wird nicht allein vom Publikum entschieden, sondern auch durch ein komplexes Empfehlungssystem beeinflusst. Trotzdem bleibt der Einstieg niedrigschwellig und die Möglichkeit ist gegeben, sich aus eigener Kraft eine Reichweite aufzubauen.

Gibt es nicht bereits genug Monopole?

Bei YouTube ist es möglich, ungewöhnliche Formate zu entwickeln, Nischen zu besetzen und Sichtbarkeit organisch aufzubauen. Wer dagegen auf Netflix erfolgreich sein will, muss bereits etabliert sein oder von Anfang an professionell produzieren. Die Einstiegshürde ist hoch. Das eine ist kein besseres System als das andere – sie dienen schlicht unterschiedlichen Bedürfnissen.
Wenn Sarandos YouTube kritisiert, klingt mitunter durch, dass er sich eine Streamingwelt wünscht, in der sich mehr Aufmerksamkeit auf Anbieter wie Netflix konzentriert. Doch Vielfalt ist keine Schwäche, sondern Stärke. Das Internet lebt davon, dass verschiedene Plattformen nebeneinander koexistieren. Dass wir wählen können, wie wir unsere Zeit verbringen; mal mit einer aufwendig produzierten Serie, mal mit einem fünfzigminütigen Videoessay. Und manchmal kommen zwei Dinge sogar zusammen – zum Beispiel bei der Kooperation der Netflix-Serie “How to sell Drugs online (fast)” und unserem Kanal Kleinanzeigen WG!

How to Sell Stoff Online (fast)

Die erste der beiden Sonderfolgen mit Maximilian Mundt hat sogar schon die 1 Million Views-Marke geknackt und Serien- und Kleinanzeigenfans kommen gleichermaßen auf ihre Kosten. Nix mit Kannibalisierung der Views; die beiden Formate geben sich gegenseitig Schub. Lieben wir!

Der Wunsch nach exklusiver Watchtime mag zwar aus Unternehmenssicht nachvollziehbar sein. Aus der Viewer-Perspektive aber ist Auswahl ein Wert an sich.
Oder, um es knapp zu sagen: Netflix will, dass wir die Uhr vergessen. YouTube will, dass wir einen Grund finden, Play zu drücken.

 

–Viktoria Steiber

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