‘It’s basically free money!’
Die Browsererweiterung ‘Honey’ sucht das Internet vor jedem Onlinekauf nach Gutscheincodes ab und garantiert, dass man auch ganz sicher das beste Angebot bekommt. Klingt gut? Das dachten sich auch viele YouTuber und Creator, die in den vergangenen Jahren kräftig die Werbetrommel für ihren Sponsor Honey rührten.
Und kurz vor Weihnachten kam dann die Bombe: nach mehrjähriger (!) Recherche zeichnet der YouTube-Kanal MegaLag die Geschichte eines Scams nach, bei dem einem die Kinnlade runterklappt. So kann man sich als User der Browserextension nämlich gar nicht sicher sein, dass Honey einem wie versprochen die besten Deals aus dem Netz zieht und automatisch anwendet. Vielmehr soll Honey auch Shops um wichtige Erlöse gebracht und Creatorn, die mit Affiliate-Links Geld verdienen, systematisch ihre Provision gestohlen haben. Ganz genau – die, die Werbung für Honey gemacht haben, sind sein größtes Opfer. Aber wie genau soll das denn funktioniert haben? Und warum ist das jahrelang niemandem aufgefallen? Dazu erstmal ein kleiner Exkurs.
Wer auf YouTube Geld verdient, baut sich sein Einkommen in der Regel aus mehreren Quellen auf: neben der regulären Schaltung von Anzeigen im YouTube-Partnerprogramm arbeiten viele YouTuber auch mit eigenen Sponsoren zusammen und schließen Werbepartnerschaften ab. Je nach Art des Kanals können sich vor allem Affiliate-Links als Einkommensquelle extrem lohnen, denn sie geben auch kleineren Kanäle die Chance, ihr Einkommen zu verbessern, wenn die Reichweite für Kooperationen beispielsweise noch nicht ausreicht. Affiliate-Links spielen aber vor allem für Kanäle, die regelmäßig Produkte testen oder vorstellen, eine wichtige Rolle, indem sie dem Kanal eine Provision verschaffen, wenn dessen Content zum Kaufabschluss führt.
Vereinfacht gesagt funktioniert das Ganze, indem Creator ihrer Community individuelle Links zur Verfügung stellen, die auf die jeweiligen Produktwebsites führen. Durch die Speicherung von Cookies wird festgehalten, durch welchen Creator eine Käuferin oder ein Käufer sich für das Produkt entschlossen hat, und die Verkaufswebsite zahlt dem Creator eine kleine Provision aus.
Und hier kommt Honey ins Spiel.
Die Browserextension Honey schaltet sich nun aber beim Kaufabschluss dazwischen und ‘überschreibt’ den sogenannten Tracking Tag, welcher sicherstellen soll, dass die Provision für einen Kauf eines mit Affiliatelinks beworbenen Produkts an den Creator geht, der zum Kauf animiert hat. Und an wen wird die Provision stattdessen ausgezahlt? Richtig, Honey! Das Unternehmen, das seit 2020 dem Zahlungsdienstleister Paypal gehört, begeht schnöden Diebstahl. Insbesondere die Creator, die Kooperationen mit Honey abgeschlossen haben, trifft dies hart, empfehlen sie doch ihrer eigenen Community eine Browserextension, die sie um ihre Affiliate-Einnahmen bringt.
Viele Apple-User verwenden die Extension außerdem ohne ihr Wissen.
Wer die Paypal-App auf seinen iOS-Geräten installiert hat, bei dem versteckt sich die Browsererweiterung in den Einstellungen des eigenen iPhones. Diese kann zwar einfach deaktiviert werden, doch die Dreistigkeit des Ganzen schockiert dann doch. Aber nicht nur Creator zieht Honey sprichwörtlich das Geld aus der Tasche. Während das Unternehmen seinen Endverbraucher*innen nämlich verspricht, man bekomme immer den bestmöglichen Deal, hat sich herausgestellt, dass viele der angezeigten Gutscheincodes nachweislich eben nicht die besten Deals sind und man mit einer manuellen Internetsuche oft bessere Codes findet.
Da aber regelmäßig Rabatte für User rausspringen, die ohne die Extension nicht eingelöst worden wären, geraten Shops finanziell unter Druck. Wenn durch Honey plötzlich viel mehr Gutscheincodes eingelöst werden als zuvor, sinkt der Umsatz und Shops sehen sich in der misslichen Lage, die Verluste entweder zu akzeptieren und ggf. die Preise anzuheben oder mit Honey zusammenzuarbeiten. Für kooperierende Shops hat Honey nämlich auch gleich die Lösung, indem es Shops ermöglicht, den Customer Journey zu beeinflussen, sodass Käufer*innen eben nicht die besten Deals kriegen. Die Herausgabe der Gutscheincodes wird durch Honey also eingeschränkt und gesteuert und Unternehmen können ihre Einnahmen stabil halten.
Es sei betont, dass gute Angebote für einzelne Endverbraucher*innen zwar manchmal möglich sind. Langfristig hat aber niemand was davon: Kooperierende Shops haben keinen Benefit von der Zusammenarbeit mit Honey, unabhängige Shops müssen die Preise anheben und im Ernstfall schlimme Einbußen in Kauf nehmen, User werden mit schlicht gelogenen Werbeversprechen übers Ohr gehauen und Creator werden um ihre Kommissionen für erfolgreiche Verkäufe betrogen. Der einzige Gewinner der Masche ist Honey.
Der Betrug hat nun endlich Folgen: der Anwalt und YouTuber Devin J. Stone hat eine Sammelklage gegen die Paypal-Tochter eingereicht. Wir drücken die Daumen.
DeepSeek: Die Revolution frisst ihre Kinder
Es gibt zwei Arten von Schlagzeilen über Künstliche Intelligenz: Die einen feiern bahnbrechende Innovationen, die anderen warnen vor der totalen Überwachung. DeepSeek schafft es irgendwie in beide Kategorien – je nachdem, wen man fragt. Für die einen ist es der heilige Gral der nachhaltigen KI, für die anderen eine tickende Zeitbombe chinesischer Einflussnahme.
Das vom chinesischen Unternehmer und Ingenieur Liang Wenfeng entwickelte KI-Modell hat eines geschafft, woran Silicon Valley seit Jahren tüftelt: eine leistungsfähige KI mit radikal niedrigerem Energieverbrauch – und das gerade einmal für einen Bruchteil der Entwicklungskosten von bisherigen Modellen. Klingt nach einem Durchbruch, wenn man bedenkt, dass der globale CO2-Fußabdruck von KI-Training mittlerweile in Regionen vordringt, in denen sich sonst nur Airlines oder ganze Kleinstaaten tummeln.
Für die Klimabilanz der KI ist DeepSeek also ein Fortschritt. Nur dummerweise kommt das Modell aus China. Und damit endet der Tech-Utopismus und beginnt das politische Minenfeld. Dass die USA nun ein Verbot für Regierungsmitarbeiter vorbereiten, ist mehr als nur eine Randnotiz. Zuvor war die Aktie des US-amerikanischen Chip-Herstellers Nvidia ins Bodenlose abgestürzt und sorgte für Verluste in Milliardenhöhe. Grund dafür: dank der neuen, wesentlich effizienteren Technologie von DeepSeek sinkt die Nachfrage nach den teuren, hochleistungsfähigen Chips immens.
Wer füttert die KI?
Egal ob ChatGPT, Gemini oder DeepSeek – all diese Systeme haben eines gemeinsam: Sie existieren nur, weil Menschen weltweit Daten generieren, die als Trainingsgrundlage dienen. Das Wissen, die Sprache und die Kultur, die diese Modelle antreiben, stammen nicht aus dem Labor, sondern aus der Gesellschaft. KI ist ein kollektives Produkt, mit dem derzeit einige wenige Firmen massive Profite einfahren. Meta trainiert riesige Modelle, will aber am liebsten nichts über die Datenquellen sagen. Und dann kommt DeepSeek: Open-Source, effizient, frei zugänglich – aber eben aus China.
Plötzlich wird der offene Quellcode zum Problem, und genau da zeigt sich die Doppelmoral der westlichen Tech-Giganten. Solange Open-Source-Initiativen aus den USA kommen, gelten sie als Inbegriff technischen Fortschritts für alle. Kommt die Software aber aus China, dann ist es eine Bedrohung für die nationale Sicherheit. Plötzlich tauchen Berichte auf, die beweisen sollen, dass DeepSeek Daten mit China Mobile teilt, unverschlüsselte Übertragungen nutzt und chinesischer Zensur unterliegt. Und ja, wahrscheinlich stimmt das – aber wäre es zu viel verlangt, bei Meta, Google und OpenAI mit der gleichen kritischen Energie hinzusehen?
OpenAIs verlorene Ideale
Auch die amerikanischen KI-Modelle basieren auf Open Source Technologie; so wurde das erste Large Language Model von einem Non-Profit-Unternehmen entwickelt. Und es mag überraschen, zu erfahren, dass auch OpenAI einst als Non-Profit-Organisation tätig war, die das Ziel hatte, der Allgemeinheit dienlich zu sein. Doch 2019 wurde die gewinnorientierte Tochtergesellschaft OpenAI Global, LLC gegründet, nachdem deutlich wurde, wie teuer das Training der Modelle werden würde.
Innerhalb von OpenAI gab es ideologische Konflikte: 2023 entließen vier Mitglieder des Verwaltungsrats von Open AI Sam Altman, CEO der gewinnorientierten Tochtergesellschaft. Grund dafür war Altmans profitorientierter Kurs, der in den Augen vieler zu immensen Sicherheitsrisiken führen kann. Nach internem und öffentlichem Druck wurde er kurz darauf wieder als CEO eingesetzt und führt seitdem den kommerziellen Kurs von OpenAI weiter. Die Motive der Muttergesellschaft OpenAI, Inc. sind ehrenwert, doch konnten sich seine Vertreter letzten Endes nicht gegen die Gewinnabsicht der Altman-Fraktion behaupten.
Und genau hier liegt der Knackpunkt: indem DeepSeek der Welt seine neue innovative Technologie mit offenliegendem Quellcode zur Verfügung stellt, macht es den profitorientierten US-amerikanischen Monopolen ein Strich durch die Rechnung und erinnert schmerzhaft daran, dass auch diese in Teilen einmal altruistische Motive hatten. Die Mitarbeitenden, die sich bereits 2020 von openAI getrennt hatten, weil auch sie die kommerziellen Interessen für problematisch hielten, dürfte das freuen. Sie gründeten anschließend die public benefit corporation Anthropic, auf deren Konto der Chatbot Claude geht, der erst kürzlich erfolgreich auf seine verbesserten Sicherheitsfunktionen getestet wurde.
Die Reaktion der US-Regierung auf DeepSeek ist eine Mischung aus berechtigter Skepsis und geopolitischer Panik. Und dies betrifft bei Weitem nicht nur die USA: mehrere Länder sind bereits im Begriff, den Chatbot zu verbieten oder seine Nutzung einzuschränken. Während Bedenken in Bezug auf den Datenschutz einen mehr als legitimen Grund darstellen, KI-Modelle gewissenhaften Regulationen zu unterwerfen, ist die Vehemenz des Vorgehens gegen Deepseek mit nichts vergleichbar, unabhängig davon, wie viel Diskurs es bei US-amerikanischen Modellen schon zu mangelhaftem Datenschutz gegeben hat.
Es ist ein ironischer Moment: DeepSeek zeigt, was Open-Source leisten kann und zwingt die großen Monopolisten in die Defensive. Aber es legt auch offen, dass Open-Source nur dann als Innovation gefeiert wird, wenn es die richtigen Marktteilnehmer stärkt. Die Frage, die bleibt: Wem gehört Technologie? Denen, die die Algorithmen bauen? Oder den Milliarden von Menschen, die mit ihren Daten die Grundlage dafür geschaffen haben?
Klar ist: DeepSeek ist weder die Rettung noch der Untergang der freien Welt. Es ist ein weiteres Beispiel dafür, dass KI nicht in einem politischen Vakuum existiert. Wer die Kontrolle über Technologie hat, entscheidet, wer die Regeln setzt. Und solange sich das Machtgefüge in den Händen weniger Konzerne – egal ob aus den USA oder China – konzentriert, bleibt die eigentliche Frage unbeantwortet: Wie können wir sicherstellen, dass KI ein Werkzeug für die Gesellschaft bleibt, statt ein Spielball der Monopolisten? Gibt es nicht vielleicht eine Alternative?
Dezentrale KI: Eine ethische Alternative?
Während Tech-Giganten KI zentralisiert kontrollieren, setzt dezentrale KI (DAI) auf verteilte Netzwerke und Blockchain, um Daten lokal zu verarbeiten. Dadurch bleibt die Privatsphäre gewahrt, während Transparenz und demokratischer Zugang gefördert werden. Dezentrale KI hat das Potential, monopolistische Strukturen aufzubrechen und eine offenere KI-Entwicklung zu ermöglichen. Skalierbarkeit und regulatorische Unsicherheiten stellen zwar noch Herausforderungen dar, doch könnte DAI die digitale Zukunft fairer und transparenter gestalten – als KI, die nicht Konzernen, sondern allen gehört.
Viktoria Steiber
Writer & Inhouse Creator