Man professionalisiert sich
Dann wurde YouTube 2006 von Google aufgekauft – und es wäre wohl nicht übertrieben zu sagen, dass sich das Internet zu verändern begann. Mit der Einführung des Partnerprogramms 2007 wurde für Viele aus einem Hobby eine echte Einkommensquelle. Und damals machte sich noch keiner Gedanken darum, wie man sich seine Authentizität bewahrt. Man hatte sie einfach.
Und jetzt? Jetzt steht jeder erfolgreiche Creator und jede Creatorin vor der gleichen Frage: Wie bleibt man kreativ und authentisch, ohne sich zu verkaufen? (Oder will man sich vielleicht verkaufen? Auch das kann ein Ziel sein.)
Schnell wurde klar: Wer mit YouTube Geld verdienen will, muss sich anpassen. Der Algorithmus belohnt nicht unbedingt die originellsten Inhalte, sondern die, die am meisten Aufmerksamkeit generieren. Clickbait, tägliche Uploads, optimierte Thumbnails und Video-Längen, die genau in das perfekte Monetarisierungs-Fenster passen, sind heute Standard.
Es entstehen neue Geschäftsmodelle: Werbedeals, Merchandise, Crowdfunding – ein komplett neues Berufsbild entwickelt sich. YouTube ist nicht mehr nur Plattform, sondern Markt.
Mainstream oder Nische
Viele Creator haben festgestellt, wie schnell es passieren kann, dass ihr Publikum sich langweilt. Die Sehgewohnheiten junger Menschen verändern sich: von TV zu Video-on-Demand.
Vor allem Creator, die im Mainstream mithalten wollen und sich nicht auf ein Nischenpublikum mit speziellen Interessen stützen können, müssen extremer, lauter, krasser werden.
Pranks, Challenges, Drama, die Zutaten für virale Hits. Gleichzeitig wird der Markt für Werbepartnerschaften immer lukrativer, was dazu führt, dass Creatorinnen zu Werbegesichtern werden, bevor sie überhaupt die Implikationen ihres eigenen Berufsbildes begreifen (An dieser Stelle muss man wohl auch den Begriff des Influencers in den Mund nehmen.)
Doch nicht alle gehen diesen Weg. Viele Creator*innen bleiben sich treu, entwickeln sich mit weiter und finden Wege, beständig und kreativ zu bleiben, indem sie ihre Nische und ihr Publikum finden. Lieben wir!
Rise of the Mighty Algorithm
Auch die Art, wie wir YouTube konsumieren, hat sich verändert. Früher klickte man sich durch die abonnierten Kanäle, heute werden die meisten Videos über den Algorithmus vorgeschlagen. Das hat Vor- und Nachteile: Einerseits können so neue Talente entdeckt werden, andererseits sorgt die algorithmische Selektion dafür, dass einige Inhalte dominieren, während andere verschwinden.
Dazu kommt die verkürzte Aufmerksamkeitsspanne: Wo früher 10- bis 15-minütige Videos üblich waren, sind es heute Shorts, Reels, TikToks – viele mit einer Dauer von unter einer Minute. Was das mit unserem Gehirn machen kann, ahnen wir ja schon lange – trotzdem ist Longform-Content auf YouTube noch immer zentral und wird es wohl auch bleiben. Das Bedürfnis nach Deepdives und langen Videos, die genau in die Themen einsteigen, die man selber gut findet, wird immer ein Gegengewicht zum Shortform-Content bleiben, der einem scrollend die Zeit vertreibt.
Und was nu?
Nach 20 Jahren steht YouTube vor der nächsten großen Veränderung. Die steigende Relevanz von Shorts, Live-Streaming und Künstlicher Intelligenz verändern das Spiel aufs Neue. Immer mehr Inhalte werden automatisiert, KI-generierte Videos fluten die Plattform. Gleichzeitig wächst die Konkurrenz durch Plattformen wie TikTok, Twitch oder Patreon, die neue Monetarisierungsmöglichkeiten bieten und YouTube herausfordern.
Doch YouTube bleibt weiterhin eine Plattform der (fast) unbegrenzten Möglichkeiten, auf der jede und jeder eine Nische finden kann.
Es ist an uns, zu entscheiden, wo die Reise hingeht.
The Circle of Online-Scams, oder auch: Dieser komische Trick wird DICH reich machen!
Das Internet war mal besser. Irgendwann in den letzten zehn Jahren verwandelten sich einst offene Plattformen in intransparente und zunehmend automatisierte Maschinen zur Monetarisierung menschlicher Aufmerksamkeit. Und nichts zeigt das so deutlich wie der Wildwuchs an Scams auf YouTube und auch überall sonst im Internet. Während ihr euren Lieblings-Creatorn zuschaut, nutzen Scammer die Kommentarspalten, gesponserte Videos und YouTube-Werbung als Plattform.
Dabei sind es nicht nur Boomer, die auf diese Maschen hereinfallen. Wir, die Digital Natives, erkennen den Unterschied zwischen einem Zeitungsartikel-Link und einer als Zeitungsartikel getarnten scammy Werbeanzeige doch im Schlaf! Wir wissen, dass Markus Lanz keine Interviews über Aktiengeschäfte gibt, die einen über Nacht reich machen. Wir sind safe. Oder?
Wer darauf hereinfällt, ist halt selber Schuld?
So zu denken, fühlt sich gut an. Gerechtfertigt. Aber auch ein bisschen victimblamey. Schließlich ist es nicht illegal, naiv zu sein oder es nicht besser zu wissen. Leuten über Monate eine falsche Identität vorzuspielen, schon. Wer sich mit Onlinescams aber etwas auseinandersetzt, merkt schnell: jede*r kann Opfer werden, denn Scammer wissen genau, wie sie es schaffen, dass ihre Zielpersonen ihr Urteilsvermögen auch trotz besserem Wissen in den Wind schießen.
Stell dir vor, dein Lieblings-YouTuber bringt ein neues Video raus. Unter dem Video tummeln sich hunderte Kommentare, darunter ein scheinbar persönlicher Gruß von genau diesem Creator:
Danke für eure Unterstützung! Kontaktiere mich auf Telegram für eine spezielle Belohnung.
Immer noch recht offensichtlich, aber ganz eindeutig auf eine andere Zielgruppe getargetet. Jetzt ist es nicht Peter Maffay, der uns die heißesten Tipps für Aktiengeschäfte geben will, sondern unser Lieblingscreator Julien Bam, der uns hohe Gewinne mit Krypto-Investments verspricht. Wer die vermeintliche YouTube-Persönlichkeit kontaktiert, wird in eine Abzocke verwickelt – von angeblichen Bitcoin-Gewinnen bis hin zu exklusiven Investment-Gelegenheiten, die sich am Ende als teurer Fehler herausstellen.
Playing Mindgames
Die parasoziale Beziehung, die wir aufgebaut haben, macht es leicht, Opfer in die Falle zu locken, denn hier geht es nicht nur um technisch ausgefuchste Methoden, sondern um psychologische Tricks, die den gesunden Menschenverstand aushebeln sollen. Und hinterher fragt man sich: Wie konnte ich da nur je drauf reinfallen? Tja.
Manche YouTuber haben Teams, die diese Fake-Accounts melden, doch auch YouTube selbst kommt mit der Flut an Betrugsversuchen kaum hinterher. Wer denkt, dass YouTube-Kommentare der einzige Schauplatz sind, irrt. Ein bekanntes Beispiel: Deepfake-Werbevideos, in denen Elon Musk oder andere Prominente angeblich Krypto-Investments bewerben. Wenn Elon auf diese Weise reich geworden ist, kann ich das bestimmt auch!
Oder gesponserte Anzeigen, die seriös wirken, aber auf betrügerische Webseiten führen. Klar ist: man braucht immer mehr Medienbildung, um Fakes schnell zu erkennen. Und wo ein Scam-Kommentar oder eine gefälschte Werbeanzeige gelöscht wird, tauchen sofort neue auf.
Ein ewiges Katz-und Maus-Spiel. Digitales whack-a-mole.
Aber warum tut denn niemand was dagegen?
Der Kampf gegen Scams ist im Gange, doch es ist nicht leicht. Ein Problem: Googles Werbesystem ist ein automatisiertes Bietersystem. Innerhalb von Millisekunden wird entschieden, welche Anzeige wo ausgespielt wird. Scammer nutzen das aus, indem sie zunächst harmlose Anzeigen schalten und diese später mit Scam-Inhalten austauschen. Das sorgt dafür, dass uns betrügerischer Content auf seriösen Nachrichtenseiten oder vielgeklickten YouTube-Videos angezeigt wird, ohne dass die Zeitungen oder Creator irgendetwas damit zu tun haben.
Google gibt an, jährlich Milliarden betrügerischer Anzeigen zu entfernen – doch wer sich online bewegt, merkt schnell, dass das bei weitem nicht reicht. 2018 sollen es 2,3 Milliarden Ads gewesen sein; 2023 waren es schon 5,5 Milliarden und seit 2024 soll KI bei der Aufgabe helfen.
Betrug ist plattformübergreifend
Eine harmlose WhatsApp-Nachricht von einer unbekannten Nummer („Entschuldigung, ich glaube, ich habe mich verwählt!“) kann der Einstieg in eine monatelange Krypto-Abzocke sein. Auf Instagram locken Fake-Gewinnspiele oder betrügerische Dropshipping-Shops.
Auf Facebook und X verbreiten sich betrügerische Links, die auf Phishing-Websites führen. Für alte Internethasen die ältesten Tricks der Welt, ist klar. Aber es sind eben nicht alle Menschen alte Internethasen.
Wenn die Täter selber Opfer sind
Und es geht hier auch nicht nur um das Sperren betrügerischer Werbung, sondern um Menschenhandel. Richtig gelesen: viele der Scammer sind selbst Opfer, die z.B. in Kambodscha oder Myanmar unter unmenschlichen Bedingungen in Scam-Camps gehalten und gezwungen werden, Internetbetrug zu begehen.
Was hilft?
Aufklärung, Misstrauen gegenüber zu schön klingenden Angeboten und der Druck auf die Tech-Monopole, ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Aber auch Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden, um gegen Menschenhandel vorzugehen. Wir weigern uns, zu denken, der Traum von einem zumindest halbwegs sicheren Internet sei ausgeträumt.
Aber das geht nur, wenn wir aufhören, so zu tun, als wäre das Problem zu lösen, indem man den Leuten erzählt, sie sollen halt nicht auf weird aussehende Ads klicken.
Denn sehen wir der Wahrheit ins Gesicht: Wir können den Betroffenen so lange erzählen, dass sie ihren Scammer provoziert haben, wie wir wollen. Oder sie fragen, was sie denn so spät abends allein im Internet getrieben haben. Oder ihnen vorhalten, dass sie halt keinen kurzen Rock hätten tragen sollen.
Kriminalität bekämpft man aber nicht von der Seite der Opfer, und eigentlich wissen wir das auch.
Viktoria Steiber
Writer & Inhouse Creator