X-odus wird die Abwanderungswelle genannt, die sich gerade zwischen X (vormals Twitter) und anderen Kurznachrichtendiensten abspielt: immer mehr Accounts migrieren von X zu neuen Alternativen wie Bluesky, Threads, und Mastodon.
Seit der Übernahme des erfolgreichen Mikroblogging-Dienstes von Elon Musk im Oktober 2022 wurde die Mitarbeitendenzahl bei X von 8000 auf gerade einmal 1500 reduziert. Schon in der ersten Entlassungswelle musste bereits die Hälfte der Belegschaft gehen. Seitdem hat die Menge nachweisbarer Falschinformationen auf der Plattform ein nie gekanntes Ausmaß erreicht und immer mehr User kehren ihr den Rücken. Ein weiterer Grund ist auch die wachsende Anzahl KI-betriebener Bot-Accounts, die verschleiern, wie viele echte Menschen sich überhaupt noch auf X befinden und ihren Teil zur politischen Meinungsmache beitragen.
Das Ergebnis der im November stattfindenden US-Wahl zugunsten von Donald Trump gilt hier zwar als aktuellster Auslöser für die neueste Migrationswelle zu anderen Diensten, da sich User mit faschistischem Weltbild durch die Wahl ermutigt fühlen. Auffällig ist jedoch, dass der Anteil rassistischer, misogyner und antisemitischer Inhalte bereits seit der Musk-Übernahme wächst und erwartungsgemäß weiter steigen wird.
Und noch etwas wird dafür sorgen, dass immer mehr Menschen X verlassen: Wer bei X einen Account hat, muss sich seit dem 15. November damit abfinden, dass die eigenen Inhalte und die eigene Kunst zum Training von Musks KI-Modells Grok AI verwendet werden: ohne Option zum Opt-out.
Ausgenommen sind dabei Accounts von Usern in der EU, die aufgrund der strengeren Datenschutzgesetze etwas besser geschützt sind als beispielsweise US-User. Aus diesem Grund müssen EU-Bürger*innen zur Nutzung von Grok AI auf eine VPN-Verbindung zurückgreifen.
Andere Kurznachrichtendienste versuchen nun die Lücke zu füllen; allen voran Bluesky, welches in den vergangenen Wochen fast eine Million neuer User täglich verzeichnen konnte und aktuell mehr als 20 Millionen User stark ist – Tendenz steigend.
Hinter dem Unternehmen steckt unter anderem Twitter-Mitgründer Jack Dorsey, der die Anschubfinanzierung geleistet und die Plattform dem alten Twitter sehr ähnlich gestaltet hat, um den Wechsel so einfach wie möglich zu machen. Dorsey hat sich jedoch von der App zurückgezogen; die meisten Anteile hält aktuell die CEO von Bluesky, die Softwareentwicklerin Jay Graber. Ziel der App sei es laut eigener Aussage, eine soziale Anwendung bereitzustellen, die nicht von einem einzelnen Unternehmen kontrolliert wird. Klingt super und nach der perfekten Alternative für ein soziales Netzwerk, welchem von seinem Besitzer eine politische Agenda aufgezwungen wird.
Doch ächzt sie unter dem enormen Ansturm neuer User sowie unter Troll- und Spam-Accounts, die die Kapazitäten der Moderation an ihre Grenzen bringen.
Außerdem ist es gut möglich, dass Bluesky bald mit der EU-Kommission in Konflikt gerät, da es gegen den im Februar in der EU in Kraft getretenen Digital Services Act verstößt. Die EU-Kommission hat ihre Koordinatoren bereits losgeschickt und es bleibt zu hoffen, dass Bluesky aus den Fehlern anderer lernt und sich kooperativ zeigt.
Eine weitere Alternative zu X möchte die App Threads aus dem Hause Meta sein, die jedoch wegen ihres immensen Hungers nach persönlichen Nutzerdaten einmal mehr in der Kritik steht. Bisher stellt sie aufgrund ihrer Verknüpfung zu Instagram aber den zahlenmäßig stärksten Kandidaten; bereits nach wenigen Tagen soll Threads mehr als 100 Millionen aktive Nutzer*innen gehabt haben. Allerdings tut sich die Plattform von Meta-Gründer Mark Zuckerberg nun schwer, ihre User zu halten – vielmehr sank die Zahl der täglich aktiven Nutzer bereits im letzten Jahr wieder ab.
Und natürlich gibt es da noch das dezentrale Mastodon, welches abseits von Profitinteressen und Monopolbildung eine echte Alternative zu Plattformen in der Hand von Tech-Giganten darstellen will. Doch aufgrund der dezentralen Struktur des Fediverse hält sich die Nutzerfreundlichkeit des Dienstes leider noch in Grenzen, weshalb das Wachstum im Vergleich zu den beiden Riesen Bluesky und Threads etwas mau aussieht.
Es bleibt abzuwarten, ob sich eine der kommerziellen Plattformen langfristig behaupten kann, ohne Opfer der Enshittification zu werden und ob der Idealismus hinter dem Fediverse langfristigen Bestand hat.
— Viktoria Steiber