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Hunger Games – Flair auf der Met Gala

 

‚Let them eat cake‘: Die von der Vogue veranstaltete jährlich stattfindende Met Gala im Metropolitan Museum of Art lockt wie jedes Jahr Stars und Designer sowie wenige ausgewählte Influencer an. Der Glamour der Reichen und Schönen sorgt allerdings insbesondere dieses Jahr für einen bitteren Nachgeschmack.

Das Thema der diesjährigen Gala lautet ‘The Garden of Time’, nach einer Kurzgeschichte von J.G. Ballard aus dem Jahr 1962. Man denke sich, dass die Ironie dieser Wahl den Veranstaltern bei der Vogue eigentlich nicht entgangen sein kann, doch beginnen wir am Anfang.

Die Kurzgeschichte erzählt von einem reichen Paar in einer pompösen Villa, welche von einem magischen wunderschönen Garten umgeben ist – dem Garten der Zeit. Am Horizont nähert sich eine Menschenmasse, bestehend aus zerlumpten Männern und Frauen sowie Soldaten in abgerissener Uniform, die sich langsam und unter Anstrengungen, aber stetig dem Anwesen nähert. Indem Axel, der Hausherr, eine seiner magischen Gartenblumen opfert, kann er die Menge nach dem Pflücken der Blume etwas zurückdrängen: er dreht die Zeit zurück, um das Unvermeidliche hinauszuzögern. Schließlich wird die Villa und der magische Garten vom ‘Pöbel’ überrannt und die beiden opfern die letzte Blume, um in der Zeit eingefroren als weiße Statuen zu überdauern, hinter einem Dornbusch verborgen vor den Augen der Masse.

Die sechsseitige Kurzgeschichte liest sich nicht einfach wie ein unschuldiges Märchen von der Vergänglichkeit alles Schönen, sondern ist ein fast schablonenhaftes Beispiel der Angst der Reichen vor dem Zorn der Armen. Das fällt auch anderen auf. Die New York Times schreibt:

“The Garden of Time” is a fitting but ironic choice as a theme for the year’s most lavish celebration. It’s fitting because the Met Gala celebrates the contemporary equivalents of aristocrats at a time of widespread social anger toward elites; it’s ironic because the reference suggests that the guests and hosts may be doomed.

Quelle: NY Times

Aber auch ohne dieses Motto steht die Met Gala als Event an sich in der Kritik: die von Jahr zu Jahr immer absurder werdenden Ticketpreise (die in diesem Jahr horrende 75.000$ pro Person betragen und großteilig von Marken getragen werden, die ausgewählte Stars einladen) stehen in einem krassen Missverhältnis zur wirtschaftlichen Situation der meisten Menschen und insbesondere mit dem Leid der Menschen in Gaza. Auch wenn Instagram und Threads politischen Content auf ihren Plattformen also einschränken wollen, lassen sich ihre User es sich nicht nehmen, sich politisch zu äußern.

Online tun sich aus diesem Grund schon zahlreiche ‘Hunger Games’-Referenzen auf. Und man muss dem Trend recht geben: der verschwenderische Reichtum und die aufwändigen Kostüme der Stars wirken tatsächlich wie eine Party, die so auch im Kapitol stattfinden könnte, während andernorts Menschen hungern und nicht einmal die notwendigste Versorgung haben.

@catchupnews

Some commentators suggested that Haley Kalil didn't realize the explosive impact of the phrase #catchupnews #metgala #hayleebaylee

♬ original sound - CatchUp

Die Influencerin Hayley Kalil, bekannt als Hayleyy Baylee, machte sich darüber hinaus noch mit einem besonders ignoranten Statement unbeliebt: in einem aufwändigen, von Marie Antoinette inspirierten Blumenkleid lypsinced sie ‘let them eat cake’ zum dazugehörigen Audio in die Kamera – ohne der Bedeutung der Worte in diesem Kontext auch nur einen Gedanken geschenkt zu haben.

Wer es nicht weiß: das Zitat ‘let them eat cake’ wird bis heute Marie Antoinette zugeschrieben, die im 18. Jahrhundert einige Zeit Königin Frankreichs war. Auf die Aussage, ihre Untertanen hungerten, weil sie nicht genug Brot zu essen hätten, soll sie lapidar erwidert haben ‘Wenn sie kein Brot haben, sollen sie doch Kuchen essen’.

Mittlerweile gilt als erwiesen, dass sie diesen Satz nie gesagt hat und Opfer einer Schmähkampagne war, die sie während der französischen Revolution schließlich den Kopf auf der Guillotine kostete. Trotzdem fasst der Satz ‘Let them eat cake’ die Ignoranz und moralische Verkommenheit einer herrschenden Klasse auch heute noch zusammen und die Gleichgültigkeit der ehemaligen Königin mit dem Schicksal ihrer Untertanen ist wohlbekannt.

Als Reaktion auf den Shitstorm postete Kalil ein fast 9 Minuten langes Entschuldigungsvideo. Sie sei selbst nicht zur Met Gala eingeladen, sondern lediglich als Host für die Gäste gebucht gewesen. Ihr Kleid habe ein befreundeter Designer selbst und ohne Bezahlung in Handarbeit angefertigt und überhaupt sei das Audio bereits in 110 Tausend TikToks genutzt worden und sei Teil eines GlowUp-Trends in den USA. Nicht eine Sekunde lang habe sie eine böse Absicht verfolgt, sagt sie und betont, sie gehöre nicht zur Elite, habe kein PR-Team und mache alle ihre Videos selbst. Zwischen zahlreichen Bekundungen, wie leid ihr der unabsichtliche Fehler tue, kommt man nicht umhin, ein ‘sorry you feel that way’ zwischen den Zeilen zu lesen.

So verständlich ihr Gefühl, ungerecht behandelt zu werden, auch ist, so nachvollziehbar ist der Ärger auf Social Media über die tonedeafness und Ignoranz, die dazugehört, dieses Audio in diesem Kontext genutzt zu haben. Es geht in dieser Debatte aber wohl weniger um die guten oder bösen Intentionen einer einzelnen Influencerin, sondern vielmehr um die Met Gala als solche, die verschwenderischen Reichtum in Zeiten globaler Konflikte und sich zuspitzender wirtschaftlicher Not zur Schau stellt.

#Blockout2024 oder auch ‚The digital Guillotine‘

 

Der Shitstorm um Hayleyy Baylee war in dieser Hinsicht der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte und das aktuell auf Social Media tobende ‚Blockout‘-Movement auslöste. Die Bewegung ist auch unter dem Kofferwort ‚Digitine‘ bekannt, einer Mischung der Worte ‚digital‘ und ‚Guillotine‘. Online wird dazu aufgerufen, Stars auf Social Media bewusst zu blockieren und auf diese Weise ihren Einfluss zu schwächen und Verluste bei Werbepartnerschaften zu verursachen – weil das das Einzige ist, das wirklich wehtut.

Geschlechterdisparität und politische Einstellung bei Millennials und Gen Z

 

Viele auf Social Media stattfindenden Diskurse stehen unter dem Zeichen einer größeren und sich schon länger abzeichnenden Entwicklung bei der Gen Z und den Millennials. Nicht nur in Deutschland, sondern überall auf der Welt klaffen die politischen und gesellschaftlichen Einstellungen junger Männer und Frauen zunehmend auseinander.
Während Frauen tendenziell progressiver und linker werden, zeigen sich bei jungen Männern eher regressive Tendenzen zugunsten einer konservativen bis rechten Weltsicht. Im Trend dieser Entwicklung stehen zahlreiche Diskurse, die aktuell auf Social Media Wellen schlagen – und werden das wohl auch noch künftig tun.

Frauen wählen den Bären

 

Seit einigen Wochen findet auf Social Media eine heftige Debatte statt, der wohl den wenigsten entgangen sein dürfte: Man vs. Bear dreht sich um die Frage, wen man (frau) wohl lieber im Wald antreffen würde – einen fremden Mann oder einen Bären. Während ein Bär einen im Zweifelsfall natürlich in Stücke reißen könnte, macht die Antwort vieler Frauen, sie würden sich für den Bären entscheiden, patriarchale Gewalt sichtbar: zumindest könne nachher keiner behaupten, die Frau habe die Bärenattacke doch gewollt oder sei selbst schuld, weil sie die falsche Kleidung getragen habe.

Währenddessen geht der Punkt an vielen vorbei: Männer antworten mit Statistiken zu Bärenangriffen, um die Gefährlichkeit von Bären hervorzuheben – Frauen weisen darauf hin, dass es schlimmere Schicksale gibt als der Tod und sie diesen der Alternative vorziehen.

@oh_x_breezy

Everyone thinks my job is football. But it’s actually just kick. I’m very good at kick. #harrisonbutker #taylorswift #nflfootball #barbie

♬ original sound - Oh x Breezy

Harrison Butker: ‚Diabolical lies‘

 

In diesem Kontext überrascht auch die Rede Harrison Butkers nicht, NFL-Spieler der Kansas City Chiefs, der mit einem 20-minütigen Vortrag an einem katholischen College in den USA nun auch über seine Sportkarriere hinaus internationale und nicht nur positive Aufmerksamkeit auf sich zog. So bezeichnete er unter anderem die LGTBQ+ – Bewegung als Sünde, sprach sich gegen Abtreibung bzw. das Recht auf Abtreibung sowie gegen künstliche Befruchtung aus und wandte sich vor allem an die anwesenden graduierenden Frauen: er führt aus, dass die wahre Bestimmung einer Frau sich doch erst in ihrer Rolle als Hausfrau und Mutter erfülle. ‘Diabolische Lügen’ habe man ihnen erzählt, sagt er, Sohn der Medizinphysikerin Elizabeth Butker, die seit 1988 an der Emory Universität in Atlanta in der Strahlenonkologie arbeitet.

Allein schon in diesem Satz steckt die Implikation, Feminismus oder Emanzipation sei nur ein Produkt falscher Erziehung: als seien Frauen wie Kinder, denen man lediglich ‘das Falsche’ beigebracht habe und die keine eigenen Meinungen bilden oder komplexen Gedankengänge erfassen könnten. Als schrieben Frauen nicht auch Bücher, entwickelten Theorien oder machten Erfindungen – aber das muss dann wohl ein Missverständnis gewesen sein, also zurück in die Küche.

Während sich vorrangig konservativ eingestellte US-Amerikaner*innen nicht erklären können, warum die Rede so viele vor den Köpf stößt, gibt es großen Backlash von unterschiedlichen Creatorn, die die antiquierte Weltsicht, Frauen gehörten in die Küche und sollten ihre hübschen Köpfchen doch nicht mit so etwas anstrengendem wie Denken beschäftigen, nicht auf sich sitzen lassen wollen. Insbesondere Butkers unerträglich herablassender Paternalismus wird umfangreich persifliert.

Bumble und das Zölibat: die Geschichte eines Shitstorms

 

Währenddessen entscheiden sich immer mehr heterosexuelle Frauen (insbesondere in US-Amerika, wo Abtreibung vielerorts hart eingeschränkt und teilweise ganz verboten ist) zu einem freiwillig zölibatären Lebenstil. Inflation, Schulden und Armut, unbezahlbare und mangelhafte Gesundheitsversorgung, aber vor allem patriarchale Gewalt, offen zur Schau gestellter Sexismus, die Enttäuschungen der Hookup-Culture und die Einschränkung der eigenen reproduktiven Rechte sind Grund genug für viele Frauen, jeglichen Beziehungen mit Männern vollends abzuschwören und sich bewusst für ein kinderfreies Leben zu entscheiden.

Und das merken anscheinend auch Dating-Apps an sinkenden Nutzerinnenzahlen. Die Dating-App Bumble, die dafür bekannt ist, dass Frauen den ersten Schritt der Kontaktaufnahme machen und die sich offen feministisch vermarktet, hat sich mit ihrer neuesten Werbekampagne zu neuen App-Features nicht beliebt gemacht. Auf großen Plakatwänden in verschiedenen Städten der USA war kurzzeitig zu lesen:

You know full well a vow of celibacy is not the answer.
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Thou shalt not give up on dating and become a nun.

Statt also die berechtigten Gründe anzuerkennen, warum viele Frauen unter diesen Umständen nicht daten wollen, fand das Marketing-Team von Bumble, es sei eine gute Idee, den verloren gegangenen Schäfchen einfach zu erzählen, das Zölibat sei doch nicht die Lösung und tut die Beweggründe einer ganzen Generation mal eben als Prüderie ab. Statt zu adressieren, wie sich Männer auf Bumble verhalten und beispielsweise Themen wie Beleidung und Belästigung auf ihrer Plattform anzusprechen, um Frauen ggf. die Rückkehr auf die Datingplattform zu erleichtern, muss frau sich von oben herab erzählen lassen, dass die Verweigerung doch nicht die Lösung sei.

Dass Frauen das Produkt und Männer die zahlenden Kunden auf Dating-Apps sind, ist leider auch bei feministischen Datingapps der Fall – und sobald mal die Zahlen nicht stimmen, werden die Prinzipien direkt aus dem Fenster geworfen.

Mittlerweile wurden die Billboards entfernt und Bumble hat nach dem Shitstorm eine Entschuldigung veröffentlicht und angekündigt, an die National Domestic Violence Hotline zu spenden.

Der Werbespot des neuen Apple iPad pro: crushing art into thin air

 

Apple hat zum Launch des neuen iPadPro einen Werbespot veröffentlicht, der nicht bei allen gut ankam. Im Spot ‘Crush’ sehen wir einer gigantischen Metallpresse dabei zu, wie sie ein analoges Aufnahmestudio zu den Klängen von ‘All I need is you’ von Sonny & Cher zerquetscht, um sich anschließend wieder zu heben und das neue iPadPro, das ‘leistungsfähigste und dünnste iPad aller Zeiten’ als Ergebnis der Komprimierung zu präsentieren.

Der Zerstörung menschengemachter Kunst zugunsten eines neuen technischen Gadgets zusehen zu müssen, kommt vielen zynisch bis dystopisch vor – insbesondere im Kontext von Debatten über Automatisierung, Künstliche Intelligenz und den Wert menschlicher Arbeit und Kreativität.

Der Hauptsellingpoint ist, wie so oft bei technischen Geräten, dass es leistungsfähiger und vor allem dünner ist. Immer schneller zu werden und noch mehr Speicherplatz in immer weniger Raum zu pressen, das ist das Ziel – Hauptsache schneller, damit man noch ein bisschen mehr Zeit einsparen kann, die man dann scrollend am iPhone verbringt. Das ist die Zukunft!

Dass dieser auf Effizienz gepolte Ansatz inhaltlich etwas, na ja, dünn ist, merken auch andere. So hat der deutsche Creator Phil Laude kurzerhand selbst eine kurze Satire im schwarzen Rollkragenpulli aufgenommen.

Dass die Effizienzlogik aus den Tiefen des Silicon Valleys die Tech-Community begeistert, ist nicht überraschend. Wie dystopisch und zynisch der Spot bei vielen Menschen ankommen könnte, ist Apples Marketing jedenfalls nicht aufgefallen; unter anderem deshalb täte Apple gut daran, mal seine eigenen Werte zu hinterfragen. Immer schneller zu werden, ohne sich zu fragen, wohin man denn überhaupt rennt, lässt uns irgendwann mit dem Kopf gegen eine Wand laufen – und das merken mittlerweile auch andere.

 

–Viktoria Steiber

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